Pflegegrade

Wenn die eigenen Eltern zum Pflegefall werden und nur über ein geringes Einkommen verfügen, kann es passieren, dass der Staat auf das Einkommen der Kinder zugreift, so dass sie einen Teil der Pflegekosten übernehmen müssen. Ein geplantes Gesetz bringt nicht nur Entlastung für Kinder pflegebedürftiger Eltern, sondern auch für Eltern mit pflegebedürftigen Kindern.

Die Zahl der pflegebedürftigen Personen in Deutschland steigt. Ende 2017 waren laut Zahlen des Statistischen Bundesamts etwa 818.000 Menschen zur stationären Betreuung in Pflegeheimen untergebracht.

Die Pflege ist sehr teuer. Die Kosten für die Unterbringung in einem Pflegeheim können leicht 4.000 Euro und mehr erreichen. Auch die Inanspruchnahme ambulanter Pflegedienste geht ins Geld, wenn eine umfassende Versorgung gewährleistet werden soll. Durchschnittlich lagen die Kosten bei Pflegestufe 4 oder 5 gemäß Pflegestatistik des Statistischen Bundesamtes zuletzt bei 3.350 monatlich.

Die Pflegeversicherung übernimmt nur einen Teil dieser Kosten. Den Rest muss die pflegebedürftige Person selbst bezahlen. Das übersteigt allerdings die finanziellen Möglichkeiten vieler Menschen, so dass die Sozialhilfe einspringen muss.

Diese kann sich einen Teil der Kosten bei den Kindern der zu pflegenden Person zurückholen – wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind. Ein Teil des Einkommens der Kinder ist gemäß der sogenannten Düsseldorfer Tabelle vor dem Zugriff durch die Sozialhilfebehörden geschützt.

Das neue Angehörigen-Entlastungsgesetz, das laut Plänen der Bundesregierung ab Januar 2020 greifen soll, sieht im Wesentlichen vor, dass Kinder nur noch dann für die Kosten der Pflege ihrer Eltern in Anspruch genommen werden können, wenn sie mehr als 100.000 Euro Bruttoeinkommen im Jahr erzielen. Das Einkommen des Ehepartners bzw. der Ehepartnerin wird nicht hinzugerechnet. Bisher war es so, dass auch das Einkommen des Ehepartners zumindest indirekt zum Tragen kommen konnte, und zwar durch Hinzurechnen zum individuellen Familienbedarf. Auf diese Weise konnte es zu einer indirekten Schwiegerkindhaftung kommen.

Durch das neue Gesetz ergibt sich also eine wesentliche Erleichterung für die jüngere Generation. CSU-Pflegeexperte Stephan Pilsinger geht davon aus, dass bis zu 90 Prozent derjenigen, die für die Pflegekosten herangezogen werden, von dem neuen Gesetz profitieren werden. Laut Schätzungen werden etwa 275.000 Menschen unter die neue 100.000-Euro-Grenze fallen. Die Kosten für die Entlastung würden bei rund 300 Millionen Euro jährlich liegen.

Und selbst diejenigen, die auch nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes noch zahlen müssen, dürften mit recht geringen Zahlungsverpflichtungen rechnen dürfen. Experten erwarten maximal 400 Euro im Monat, häufig jedoch sogar deutlich weniger.

Und nicht nur im Verhältnis Kind zu Eltern gibt es Entlastungen. Auch für Eltern mit pflegebedürftigen Kindern sind Erleichterungen vorgesehen. Eltern können zukünftig erst bei Einkommen oberhalb der 100.000 Euro zu Zahlungen verpflichtet werden, etwa dann, wenn ihre Kinder Eingliederungshilfen erhalten.

Gerade Kommunalpolitiker sehen das allerdings kritisch, denn für die Pflegekosten sind die Kommunen zuständig. Schon jetzt fordern sie Unterstützung durch den Bund.

 

Entlastung für Familien – nicht nur finanziell

In vielen Familien wird es durch das neue Gesetz zu einer deutlichen Entspannung kommen. Die Unterhaltszahlungen sind oftmals Grund für Konflikte. Zudem ist es vielen Eltern peinlich, ihre Kinder in Anspruch nehmen zu müssen.

All dies wird durch das neue Gesetz deutlich weniger häufig auftreten. Das bringt Entlastung nicht nur in finanzieller, sondern auch in persönlicher Hinsicht – etwas, das vielen Menschen in einer ohnehin schwierigen Situation sehr helfen kann.

 

Das Angehörigen-Entlastungsgesetz – FAQ

Nachfolgend finden Sie die wichtigsten Fragen und Antworten zum geplanten Angehörigen-Entlastungsgesetz.

 

Wer profitiert vom Angehörigen-Entlastungsgesetz?

Vom Gesetz profitieren alle Angehörigen von Pflegebedürftigen, die bisher zu den Pflegekosten herangezogen wurden und die über weniger als 100.000 Euro Bruttoeinkommen verfügen. Dabei werden allerdings nicht nur Einkommen aus selbständiger und unselbständiger Arbeit einbezogen, sondern auch Kapitaleinkünfte, Mieten und weitere Einkünfte.

 

Handelt es sich bei den 100.000 Euro um einen Freibetrag oder eine Freigrenze?

Der Unterschied zwischen einem Freibetrag und einer Freigrenze besteht darin, dass ein Freibetrag auch bei dessen Überschreiten eingerechnet wird, während bei Überschreiten einer Freigrenze gleich die volle Last eintritt. Im hier betrachteten Fall ist davon auszugehen, dass diejenigen, deren Einkommen über 100.000 Euro liegt, mit ihrem gesamten Einkommen in die Berechnung des Unterhalts eingehen (abzüglich bestimmter abzugsfähiger Beträge wie zum Beispiel für die Altersvorsorge). Es ist also nicht so, dass nur das Einkommen oberhalb der 100.000 Euro zählen würde. Dazu ist aber anzumerken, dass es zu dieser Frage bisher noch keine eindeutigen Kommentare gibt.
Sollte eine Freigrenze zur Anwendung kommen, würde es sich für diejenigen, die nur knapp über 100.000 Euro verdienen, lohnen, ihr Einkommen zu reduzieren, um unter die Freigrenze zu kommen und damit nicht mehr zahlungspflichtig zu sein. Dies kann zum Beispiel durch eine Verringerung der Arbeitszeit erreicht werden.

 

Werden auch Ehegatten bei der Unterhaltspflicht entlastet?

Nein, der Gesetzgeber betont ausdrücklich, dass Ehegatten auch weiterhin für die Pflegekosten ihres Partners herangezogen werden können, wenn beide im selben Haushalt leben.

 

Wie findet die Entlastung der Kinder pflegebedürftiger Eltern statt?

Künftig wird auf das Einkommen der Kinder pflegebedürftiger Eltern erst ab einem Jahreseinkommen von 100.000 Euro zugegriffen, und zwar je unterhaltsverpflichteter Person. Das bedeutet, die 100.000 Euro gelten auch dann, wenn es mehrere Kinder pflegebedürftiger Personen gibt.

 

Wird das Gesetz einen Rückgang der Zahl pflegender Angehöriger bewirken?

Wie bereits beschrieben ist die Pflege in einem Pflegeheim besonders teuer. Aus diesem Grund pflegen viele Menschen ihre pflegebedürftigen Angehörigen zu Hause. Mit dem neuen Gesetz und der damit verbundenen Entlastung ergeben sich für Angehörige neue Perspektiven. So kann zum Beispiel die verstärkte Inanspruchnahme eines ambulanten Pflegedienstes oder einer polnischen Pflegekraft für die Pflege rund um die Uhr attraktiver sein. Ob und inwieweit das Gesetz einen Rückgang des Anteils pflegender Angehöriger bewirken wird, bleibt abzuwarten.

 

Wird auch das Vermögen der Eltern für die Kosten der Pflege herangezogen?

Der sogenannte Vermögensschonbetrag, der im Sozialgesetzbuch XII festgelegt ist, beträgt grundsätzlich mindestens 5.000 Euro und kann von Fall zu Fall erhöht werden. Vermögen der Eltern, welches diesen Betrag übersteigt, kann also in bestimmten Fällen herangezogen werden.

 

Können auch Schwiegerkinder für die Pflegekosten herangezogen werden?

In Fällen, in denen das Kind eines pflegebedürftigen Elternteils unter 100.000 Euro verdient, der Ehepartner des Kindes aber darüber liegt, besteht keine Unterhaltspflicht. Diese besteht nur bei Verwandtschaft ersten Grades. Das bedeutet: Schwiegerkinder können nicht zum Unterhalt ihrer Schwiegereltern herangezogen werden.

 

Was ist zu tun, um vom der neuen 100.000-Euro-Grenze zu profitieren?

Der Unterhaltspflichtige muss keine besonderen Maßnahmen ergreifen. Die neue Einkommensgrenze gilt automatisch.

 

Was wird in die 100.000 Euro eingerechnet?

Die 100.000 Euro beziehen sich auf das gesamte Jahresbruttoeinkommen. Dazu zählen Einkünfte aus selbständiger und nicht selbständiger Arbeit, aus Vermietung, Verpachtung sowie Kapitaleinkünfte. Vorhandenes Vermögen wird dagegen nicht berücksichtigt.

 

Kann bereits geleisteter Unterhalt erstattet werden?

Eine rückwirkende Anwendung der neuen Regelungen ist nicht möglich. Das Gesetz gilt nur für Ansprüche ab dem 1. Januar 2020.

 

Fazit

Das Angehörigen-Entlastungsgesetz bietet für viele Kinder pflegebedürftiger Eltern, aber auch für viele Eltern von Kindern mit Pflegebedarf deutliche Verbesserungen. Erst bei Einkommen über 100.000 Euro können sie zu Zahlungen herangezogen werden. Das wird nach Erwartungen von Experten dazu führen, dass nur noch die wenigsten Kinder bzw. Eltern unterhaltspflichtig sein werden.

Eine Folge davon sind höhere Kosten bei den Kommunen, denn sie müssen für den entstehenden Zahlungsausfall einstehen.

Für viele Familien kann das neue Gesetz eine erhebliche Entspannung bringen, denn oftmals war die Unterhaltsfrage Grund für Konflikte. Eltern müssen sich nun weniger Sorgen machen, ihren Kindern zur Last zu fallen.

Interessant wird zu beobachten sein, ob und wie sich das Gesetz auf die Inanspruchnahme verschiedener Pflegeangebote auswirken und ob beispielsweise die Bereitschaft zur Pflege Angehöriger zurückgehen wird, weil die Gefahr sinkt, für Unterhaltszahlungen herangezogen zu werden, wenn die Pflegekosten das Einkommen der Eltern übersteigen.